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Schriftsatz im Weinstock
Das Grafische Atelier Stankowski + Duschek
Katalogbeitrag, Kunstbibliothek Berlin, 2020

Jochen Stankowski, der Neffe Anton Stankowskis, arbeitete von 1960 bis 1972 im Grafischen Atelier in Stuttgart. 1967 wurde er Geschäftspartner.

"Aus russischer Kriegsgefangenschaft kam er zu seinem Bruder, zu uns, weil er kein Zuhause hatte. So lernte ich Onkel Anton kennen: Auf dem Stuhl, den Pinsel in der Hand, malte er Bilder an die Wände unseres Kinderzimmers. Mit denen wurde ich groß.

Michael Stankowski, Antons Vater, wanderte Ende des 19. Jahrhunderts aus den Masuren als Gastarbeiter nach Gelsenkirchen aus und wurde Bergmann. Eine Generation, die Zukunft schuf für die Kinder, sich aber auch zwischen den Kulturen zerriss. Die Mutter Sylvestra war eine ebenso kräftige wie ehrgeizige Frau aus bäuerlichem Milieu. Anton begann mit seinem Bruder, meinem Vater, eine Malerlehre. Mein Vater wechselte in eine Lehrstelle als Dentist. Anton wurde ehrbarer Anstreicher und liebte diesen Beruf. Er malte Küchen und Kammern, Kirchen und Keller. Gelsenkirchen auch zu Hause: Barock-Kommoden und -Schränke. Da zeigte sich zum ersten Mal die strenge Hand des Künstlers. Zum Schrecken der Mutter hatte Anton sich eines Tages den verzierten Kleiderschrank vorgenommen und ihn, nach Entfernen allen Zierrats, der Leisten, Rundungen und Schnörkel, in einem freundlichen, kräftigen Gelb gestrichen. Eine saubere Handwerksarbeit. Der gelbe Schrank begleitete mich viele Jahre lang, blieb mir Symbol in Form und Farbe.

Von Onkel Anton bekam ich 1955 den guten Rat, Schriftsetzer zu lernen. Ein Deal, längst ausgekocht zwischen den Brüdern. Denn Anton, der kinderlos war, wollte und sollte seinen Beitrag zum Familiären leisten und mich, den Neffen, in seine Fußstapfen treten lassen. Zunächst machte ich eine Lehre als Schriftsetzer und wechselte dann zu einer der besten Adressen nach Süddeutschland, in die Dr. Cantz’sche Druckerei Stuttgart, wo ich als Typograf arbeitete. Anton Stankowski brachte mir die Skizzen zu Linolschnitten. Am Feierabend schnitt ich, machte Probedrucke und hatte sie ihm vorzulegen. Er begleitete meinen beruflichen Weg, war Korrektiv und Lehrer im besten Sinne, blieb immer kritisch gegenüber dem, was er selbst oder auch ich geschaffen hatte. Er deckte mich mit Büchern und Zeitschriften ein und öffnete das Fenster zur Welt der Zeichen. Nach der dreijährigen Schriftsetzerlehre begann ich nun eine dreijährige Ausbildung als Grafiker im Atelier Stankowski, auch hier: von der Pike auf.

Anton besaß einen Weinberg bei Stuttgart: Viele Wochenenden verbrachten wir dort mit Jäten, Schaufeln, Schneiden – und Reden, Schauen, Lernen. Das Beschneiden eines Weinstocks erfordert genauestes Hinschauen. Hier konnte Anton am eindrücklichsten demonstrieren, was er in Handwerk und Kunst forderte und anstrebte: das Wachsenlassen – und zugleich die Möglichkeit, diesen Prozess zu bestimmen, durch Weglassen, Veränderung, Eingriff. Am Weinstock ist das gründliche Wissen über den jeweils nächsten Schritt, den die Natur gehen wird, und die Fähigkeit, diesen Schritt zu bestimmen, zu lenken, Methode und Methodik:

Meine Studien 1965 in Großbritannien begleitete Anton mit Wohlwollen. Er war nie ein vordergründig politischer Mensch, zurückhaltend fast im gesellschaftlichen Engagement der 1960er- und 70er-Jahre. Wir arbeiteten damals an den typografischen Grundlagen für ein durchgängiges Firmenimage. Es waren stundenlange Diskussionen, Mühen und praktische Versuche. Aber dann stand’s – eine überzeugende Corporate Identity für SEL Stuttgart war entwickelt, zum ersten Male überhaupt in dieser Konsequenz.

Meine Teilhaberschaft im Atelier Stankowski auf dem Killesberg ab 1967 änderte nur die rechtliche Situation: Anton blieb der Chef, exakt und gründlich in seinen Anforderungen, kollegial, diskussionsbereit und lernfähig gegenüber neuen Gedanken, Entwicklungen und Konzepten, aber, wie mein Vater, fast ohne Lob.

Die familiäre Ateliersituation in der Menzelstraße hatte ihre Vorzüge – Anton als Vaterfigur, um die sich die Belegschaft bei Arbeit, Pause, Essen und Feiern gruppierte, zu späterer Stunde auch die halbe Nachbarschaft; das Haus stand allen offen, Anton malte. Else, seine Frau, hielt ihm und mir den Rücken frei, Hedwig Kopp war der gute Geist.

Dass in unserem Metier jeder Schritt reflektiert werden muss, jede Phase von der ersten Idee bis zur Lösung zu skizzieren ist, dass fast jeder Lösung noch eine bessere innewohnt, dass die Suche nie endet, dass es immer doch noch einen Weg gibt – das ist mein Stankowski’sches Erbe. Es sind viele, zu viele, die ihren Weg verborgen halten, nichts von den tausend gescheiterten Versuchen nach außen dringen lassen. Anton Stankowski hatte da andere Qualitäten: Sein Skizzenbuch war stets offen, ließ den Blick zu auf endlose vergebliche Versuche, auf Fehlschläge. Offen war er auch gegenüber der Stadt, in der er wirkte. Der Philosoph Max Bense war sein Gast, so wie Anton Gast beim Buchhändler Wendelin Niedlich war. Es gab meines Wissens nach keinen Gestalter, keinen Mitarbeiter, der unverrichteter Dinge abziehen musste, wenn er Anton um Rat fragte. Oft – montagsfrüh – fragte Anton seine Angestellten, was sie am Wochenende skizziert oder fotografiert hatten. Er gründete mit anderen den Arbeitskreis Grafik und Wirtschaft (AGW), der Tagungen organisierte wie »Das Sehen betreffend« oder »Idee, Einfall und Realisation«. In jenen Tagen gingen wir aus und ein bei der schwäbischen Avantgarde, den Galeristen Maier und Müller und vielen anderen. Ich fuhr mit ihm quer durch Süddeutschland zu Ausstellungen, und wir diskutierten, was wir gesehen hatten. Anton war es auch, der dann Bildhauern und Malern mit der Gründung der Galerie Behr ein adäquates Forum im Herzen Stuttgarts schuf.

Während er an der Hochschule für Gestaltung in Ulm lehrte, schob ich im Atelier mit vier Mitarbeitern die Aufträge weiter. Er entwickelte seinen Unterricht, und ich war die »Generalprobe«: Anton vermittelte die Kraft der konkreten Formen, die frei von allen figürlichen Assoziationen sind, rein optisch in den Wachstumssystemen oder in den Bewegungsgesetzen der Natur und abstrakt in den nicht sichtbaren Funktionen physikalischer oder chemischer Abläufe.

Dennoch wurde mir alles zu eng. Ich forcierte den Umzug des Ateliers aus der Menzelstraße und forderte in den bewegten Zeiten, Ende der 1960-Jahre, ein zweites Standbein. Werbung kann nicht alles sein, wenn Kunst nur das Vergnügen ist. Meine eigenen grafischen Fertigkeiten hatte ich längst auch in den Dienst der bundesdeutschen Bürgerbewegung gegen die Notstandsgesetze, für die Kriegsdienstverweigerung und anderes gestellt, denn es schien mir doch zu absurd, wegen eines Visitenkartenentwurfs zum Kunden nach Hamburg zu fliegen. Die Erkenntnis, dass sich unsere Wege trennen würden, kam nicht plötzlich, aber Anton hat mir diese Entscheidung nicht verziehen. Wir erörterten verschiedene Möglichkeiten, aber es blieb dabei: Ich ließ mich 1972 auszahlen, dem paternalistischen Prinzip zum Trotz. Von Stankowski hatte ich alles gelernt über die Aufhebung der üblichen Teilung von freier und angewandter Arbeit, von Kunst und Werbung. Doch das reichte mir nicht, und es reichte in jenen Jahren nicht. Was, so war meine Frage, ist mit der Aufhebung der Gegensätze zwischen den privaten und öffentlichen Interessen? Was mit den Widersprüchen zwischen kommerzieller und politischer Arbeit? Mich führten diese Fragestellungen und der Versuch, sie praktisch zu beantworten, nach Köln und mündeten in die Gründung des Grafik- und Druckbetriebs Rode & Stankowski.

Manches geht. Vieles bleibt. Erst in den letzten Jahren von Antons Leben gab es zwischen uns wieder Annäherungen. Er nahm mich auf in den Stiftungsrat seiner Stankowski-Stiftung, und wir erarbeiteten 1983 gemeinsam sein erstes Werkverzeichnis. Der Weinberg wächst. Wir haben ihn gemeinsam umgegraben und gehegt und gepflegt und gedüngt, die falschen Triebe abgeschnitten. Und Anton hat vorgesorgt, dass der Zweig weiterwachsen kann."


Katalogbeitrag zur Ausstellung: Marken: Zeichen. Das Grafische Atelier Stankowski + Duschek, Kunstbibliothek Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz März–Juni 2020

Abbildung: Anton Stankowski fotografiert seine Belegschaft bei einer Geburtstagfeier im Ateliergarten, 1961: Else Stankowski, Hedwig Kopp, Toni Erhardt, Jochen Stankowski, Otomar Hartwig, Dorothee Wahl, Wolfgang Bauer (v.l.n.r.)

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