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SSK-Plakate
Vorwort für Plakat-Buch (geplant), ca 1992
Lothar Gothe und Jochen Stankowski,

Der Anlass für das erste Plakat
Im Herbst 1973 stand der SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln, damals noch Sonderpädagogische Sondermaßnahme Köln) vor dem Verbot und der Schließung der Häuser. Ein halbes Jahr lang waren in den kölner Zeitungen nur Hetzartikel über den SSK gedruckt worden, vor allem in der Rundschau. Die kleinen Leute sind auch ohnehin kein ernsthaftes Thema der Lokalseiten. Ihr Schicksal, ihr Alltag wirkt auf die breiten Leserschichten nur depressiv und die Politiker stört es erheblich. Sie haben ihren angestammten Platz auf den Skandal- und Krimieseiten, wenn sie einen Bankraub machen oder Selbstmord, wenn sie ihre Frau umbringen oder ihre Kinder zusammenschlagen. Und da sollen sie bleiben.

So mussten wir uns selbst an die Bevölkerung wenden, so bescheiden es auch gegen dien Zeitungsmacht bleiben musste. Das erste Plakat erschien.

„Handelndes“ Plakat
Nur in Ausnahmen gibt es SSK-Plakate die nicht im Zusammenhang einer Aktion entstanden sind. In der Regel dienen sie dazu, eine Aktion verständlich zu machen, ihren Inhalt zu verbreiten, eine Schweinerei bekannt machen. Sie unterstützen die Aktionen, sie sind ein Teil davon. Deshalb haben sie nichts mit ‚Presse‘ zu tun, denn es geht immer darum, etwas zu verändern, hier und jetzt, niemals  nur in den Köpfen, sondern als greifbare Wirklichkeit. SSK-Plakate informieren nicht nur einfach, sie handeln. Z.B. das (Büro)Haus des Spekulanten, der genauso wie sein Schmiergeschäft und das Schicksal seiner Opfer auf dem Plakat steht, wird besetzt, das Plakat wird in der Gegend der Aktion geklebt und als Flugblatt verteilt, bei Behörden, dem Staatsanwalt stehen SSK-Leute mit dem Plakat auf der Matte. Als organischer Bestandteil der Aktion bekommt es oft eine Wirkung wie eine Faust. Mit der ‘Anklage‘ ist die Veränderung schon eingeleitet.

‚Rück‘eroberung der Sprache

Häufig erregen die Plakate nicht nur wegen ihres Inhalts, sondern auch wegen ‚primitiver‘ Ausdrucksweisen, wegen des Spotts und der bösartigen Ironie den Abscheu und Unwillen der Politiker, Beamten und Betroffenen. Gerade das aber ist der Befreiungsakt, der Aufstand der Ausdrucksweise der Unterdrückten und Fertiggemachten! Gegen das Weglügen ihrer brutalen Wirklichkeit. Denn die vorgeschriebene Hochsprache kann nicht das schmutzige Elend, die primitive Unterdrückung ausdrücken, sie muss beschönigen und deshalb bügeln die stilistisch seriösen Presseorgane ständig die unansehnliche und widerlichen Wirklichkeit glatt. Den Opfern dieser Zustände aber rauben sie das Denken, sie werden verurteilt zum Stummsein.

SSK-Plakate sind deshalb der Mund der Sprachlosen. Ihre Sprache lässt die Wut zu Wort kommen, die sonst ja auch nicht ‚druckreif‘ ist. Sie greifen die Herrschaft der Sprachregulierer an, die ihren Opfern ihre eigene klinisch saubere Sprache aufzwingen und mundtot machen. Zitat eines Staatsanwalts: „Schuld ist auch die Sprache in den Plakaten und Briefen, die Angegriffenen geraten in Wut durch den Stil, sie fühlen sich gedemütigt, ohne dass juristisch eingegriffen werden könnte.“ (Beispiele: 'Obdachlosenheim Bunker'; 'Landeskrankenhaus-Abschiebeeinrichtung'; *Unser Oberbürgermeister Ziegler - Millionär Ziegler')

Die Gossensprache der Plakate bringt deshalb die Grössenverhältnisse überhaupt erst an den Tag. Das stilistisch Unanständige, die Kraftausbrüche, die Kübel von Hohn und Spott die über mächtige Würdenträger ausgegossen werden, das der Aufstand und die Aneignung der eigenen Lebensverhältnisse, das ist das wahrhaft Anstößige für die feinsinnigen Kritiker. Bei Herrenwitzen sind sie ja gar nicht so empfindlich.

In SSK-Plakaten drücken wir uns aus, und werden nicht ausgedrückt. Wir nehmen unser Leben in den eigenen Mund.

Abmontieren aufgeblasener Staatsautorität
Die dringend erforderliche Amtsautorität der Machthaber geht kaputt, wenn sie auf SSK-Plakaten derbe abgegriffen werden, wenn sie mit Spott übergossen, lächerlich gemacht, als Hofschranzen eines Schokofürsten, als Gierhälse, Klinkenputzer vorgestellt werden. Das löst die Angst, die sie vor sich aufgebaut haben. Das ihnen überhaupt wer so entgegentritt, und zwar immer wieder mit Name und (Büro)Adresse, das allein zeigt schon, dass sie so mächtig gar nicht sind.

So gesehen öffnen SSK-Plakate die Augen für ‚Des Kaisers neue Kleider‘ und wenn die Hanswürste hinter den biederen Amtsmasken sichtbar gemacht werden, leidet zwangsläufig deren Macht. Es steigt auf der anderen Seite der Mut.

Wie Plakate entstehen
Es ist die Regel im SSK, das nicht ein Plakat allein beredet wird. Gewöhnlich heißt der Tagesordnungspunkt nicht ‚Plakat‘, sondern ‚Niehler Straße‘, 'Gothaer Häuser‘, ‚Brauweiler‘. Es wird alles besprochen, was da geschehen ist, und es wird überlegt, was wir tun können. Das geht oft stundenlang, manchmal noch abends in Sondersitzungen, wenn die Morgenversammlung nicht reicht. Kein Aspekt ist dabei ausgespart, auch nicht, was die Möglichkeiten des Widerstands begrifft. Es wird überlegt, verworfen, Ideen werden im Raum verstreut und aufgegriffen, gefeilt. Zum Schluss, wenn sich der Weg herausgebildet hat, bekommen auch einige den Auftrag, ein Plakat/Flugblatt zu schreiben.

Frei wie der Dichter sind sie aber nicht. Denn was auf dem Plakat stehen soll, darüber ist ja eine sehr genaue Vorstellung entwickelt worden. Die Schreiber haben das in ihrem Entwurf auszuführen, die guten Ideen, egal von wem, müssen halt drin sein, das Ziel ist von allen festgelegt. Es sind oft gute Stunden auch in die Nächte hinein, es ist eine Vorbereitung auf einen Kampf, mit Spaß und Ängsten. .... Dass sie keine Schöpfer sind, sondern einfach mal besser mal schlechter gelungen, die Frucht langer Diskussionen, Berichte usw. zu Papier bringen; eine Arbeit wie im Lager oder auf dem LKW. Ehrlicherweise müssen wir zugeben, das doch immer wieder das ‚Schreiben‘ auch im SSK als etwas ‚höheres‘ angesehen oder dazu gemacht wird. Das sitzt offensichtlich mit am tiefsten in den Köpfen von uns allen.

Wenn es aber gelingt, das so selbstverständlich wie Kochen oder Lagerdienst zu machen, da haben wir jedes mal einen gewaltigen Fortschritt hin zu einer menschlichen neuen Gesellschaft vollbracht. Denn die Unterdrückung der unteren Klasse geschieht heute geistig hauptsächlich über das Bildungssystem und seine ständig sich vermehrenden Abstufungen von Schulabschlüssen. Während die Fortschreitende Verschulung Fachidiotentum und Verblödung erzeugen, dient sie aber dazu den Klassenunterschied von Macht und Geld den Anschein einer Rechtfertigung zu geben. Und die Ausgesonderten glauben zu machen, sie wären selbst schuld.

Die Gedanken, Bilder und Beispiele, die Zielrichtung, die Wut und die Kraft der SSK-Plakat stammen jedenfalls nicht von den ‚Studierten‘ im SSK allein. Das also, was SSK-Plakate ausmachen, haben die Studierten im SSK erst lernen müssen; oft war‘s eine harte Schule.

Dialektik

SSK-Plakate halten sich meistens auch nicht damit auf, die Not und das Elend zu beschreiben und das Veragen der Zuständigen anzuklagen. Sie geißeln die Elendsverhältnisse mit Ort und Namen und Adressen, und sie geißeln auch die Nutznießer und Erzeuger des Elends. Sie greifen nicht allein das Einsparen bei den Armen an, sondern gleichzeitig auch die hemmungslose Verschwendung wie z.B. mit dem Ludwig Museum. Sie zeigen das Elend der Armen aber gleichzeitig auch das charakterliche Elend derer, die sich bereichern. Die viehische Landeskrankenhaus-Station ist auf demselben Plakat mit dem ‚Festakt‘ für den Landschaftsverbandsdirektor abgebildet, der Abriss bedrohten billigen Wohnungen neben den von Schiebern betriebenen Bauherrenmodell.

So erst werden die Widersprüche sichtbar, die wirkliche Gemeinheit und Verkommenheit der Drahtzieher, so kommen die Ursachen und Gründe für Not und Verzweiflung zu Tage. Und so werden sie greifbar. SSK-Plakate fordern selten allgemein irgendwelche Leistungen, sie zeigen wo das landet, was woanders fehlt. Und warum das geschieht. Und da sind die Verantwortlichen nicht ‚Funktionsträger‘, sondern auch Menschen, geldgierige eitle Wichtigtuer, Arschkriecher, Machtbesessene. Das Böse in den SSK-Plakaten ist so wenig anonym wie die Not Schicksal ist. Es hat immer Namen und Adressen und Bankkonten.

Es geht also immer eine Front durch SSK-Plakate, auf ihnen findet fast immer ein Kampf statt zwischen Oben und Unten, und niemals besteht ein Zweifel daran, das das Plakat absolut parteilich ist. Ein objektives SSK-Plakat, ein ausgewogenes wäre ein schlechtes, unwahres Machwerk. Deshalb sind die Plakate auch Waffen und keine Infos. Sie schlagen zurück, sie sind Knüppel auf die Wölfe. Und wenn die laut aufheulen, dann ist das für die SSK-Leute zunächst mal ein Zeichen dafür, dass da ein Nerv getroffen ist. Dann macht es noch mal Spaß.

SSK-Plakate vor Gericht
Das sie oft vor Gericht landen, haben SKK-Plakate an sich. Oft legen sie es gerade darauf an, provozieren regelrecht die Gerichtsverhandlung, fordern sie heraus. Sie sind ja auch immer mit Namen der Plakat-Verantwortlichen gezeichnet, verstecken sich nicht.

Die Gerichtsverhandlungen um ein Plakat, sei es vor dem Zivil- oder Strafgericht, setzen die Aktion quasi fort. Einen Stillstand, eine feste, unveränderliche Wahrheit haben SSK-Plakate nicht, wie der SSK selbst, mit seinen Aktionen verändern sie sich. Aktionen bringen auch Informationen herbei, in der Reaktion werden Zusammenhänge immer deutlicher und die Gerichtsverhandlung ist häufig die letzte Stufe, vor der der Geschäftemacher oder Abspritzarzt dann selbst herunterfällt. Die Gerichtsverhandlungen erbringen oft die letzten Beweise, die fehlenden Stücke im Mosaik.

Die Urteile sind meistens entsprechend: Für SSK-Leute kommen erstaunlich wenig Straftaten oder Verbote dabei heraus. Wenn dann geringe. Aber selbst, wenns kein Freispruch wird, oder wenn man‘s nicht in die Verjährung treiben ließ, oder die Strafanträge klammheimlich zurückzog wurden, dann wird die Verhandlung häufig zu einer Anklage der Ankläger. Und in ihren Urteilen gegen SSK-Leute haben Richter oft ihr Bedauern ausgedrückt und Anzeigenerstatter zumindest moralisch beschuldigt. Und auch daran gingen Schmiergeldgeschäfte kaputt, da schwitzten die Beamten, Ärzte, Spekulanten.

So haben die SSK-Plakate auch eine sehr merkwürdige Rechtsfunktion: Wenn schmutzige Geschäfte sich im Bereich der Halblegalität abspielen (z.B. die Bestechung von Ratsmitgliedern, die es rechtlich nicht gibt), da ist das provozierte Verfahren gegen uns der einzige Weg ein Gericht damit zu beschäftigen. Wie bei Hausbesetzungen auch, müssen wir hier mit den Plakaten einen Schritt außerhalb der Legalität tun, um Unrecht vor Gericht zu bringen.

Woher die Informationen kommen
Im Nachhinein fragen sich häufig die Leute, woher der SSK eigentlich immer an die Informationen kommt. In der Kölner Justiz war der Brauweiler-Skandal, die vielfältigen Verbrechen an Patienten bis heute der Grund für Vermutungen und Überlegungen, wie denn der SSK solche gut behüteten Geheimnisse ausforschen konnte. Ähnlich ist es oft bei dunklen Geschäften mit Häusern, mit gut versteckten Sanierungsschiebungen.

Es ist uns bereits mehrfach berichtet worden, daß hohe Beamte und Politik ernsthafte Überlegungen angestellt hätten, ob wir eine geheime Organisation unter der Decke des ‚Entrümplungs-SSK‘ betrieben, von fremden Mächten oder andere Kräfte mit viel Geld und Gerät ausgestattet. Das ‚Geheimnis‘ ist aber ganz einfach und schlicht: Wir glauben erst mal den Leuten, die zu uns kommen und mit der Zeit kann man gut abschätzen, wie die Ereignisse ablaufen. Es ist ja immer dasselbe Muster.

Aber die Leute haben gar keinen Grund uns zu belügen. Wir haben nichts zu verteilen, wir sind die ‚letzte Instanz‘. Und kämpfen mit den Leuten, nicht für sie, so daß sie selbst auf die Schnauze fielen. Und Glaubwürdigkeit ist uns gegenüber nicht von Worten allein abhängig. Wir leben ja mit den ‚Zeugen‘ zusammen, oder haben enge Beziehungen wie zu Sanierungsopfern oder Personen in den Anstalten, die nicht geschäftlich, beruflich, religiös, parteipolitisch Abhängigkeiten belastet sind. Wir können auch zuhören, lange fragen und vor allem uns in die Situation der Geschundeten hinein versetzen. Sie ist uns nicht fremd, keine andere Welt.

So haben wir anfangs keine gerichtsfesten Beweise, die auch auf regulärem Wege nicht zu beschaffen sind. Aber was die 'Wahrscheinlichkeit' ist, das wissen wir, wie bei der toten Marion Masur, mit der Brauweilers Ende eingeläutet war. Solche Erkennnisquellen haben nichts zu tun mit polizeilichen oder journalistischen Ermittlungsmethoden oder mit naturwissenschaftlichen Beweisführungen. Sie beruht auf menschlichen Beziehungen, auf Vertrauen, Verständnis ‚Solidarität‘, auf gemeinsamen Kampfzielen. So entstehen die Aufdeckungs‘wunder‘. Und obwohl es hier schwarz auf weiß geschrieben steht, wissen wir, dass unsere Gegner in ihrer bürokratisch und technisch aufgerüsteten Welt das nie verstehen werden.


nachtrag: Sommer 2021 von Jochen.

Plakat/Flugblatt-Druck
In der Regel wurden nach einer Sitzung, auf der die ganze Aktion besprochen wurde, von einem oder mehreren die handschriftlichen Notizen mit der Schreibmaschine abgetippt. Wenn es ganz eilig war, wurde der Text telefonisch in unsere ‚Hausdruckerei‘, dem ‚DruckBetrieb‘ in Köln-Niehl durchgegeben und direkt in die Setzmaschine getippt. Wenn es weniger eilig war, wurde dort nur noch die Hauptüberschrift oder auch durch eine kräftige Linie o.ä. das Plakat plakativ gemacht. Oft aber, bei längerfristiger Planung, wurde in der Druckerei der Inhalt des Plakat visuell durch Bild oder Grafik verstärkt. Die Plakate sind in der Regel im Format A2 gedruckt, meist einfarbig auf farbigem billigem 80g Papier meist auch als Flugblatt.

Das waren die äußeren Notwendigkeiten. Die inneren waren neben der kurzen Zeit zur Reaktion und Aktion das Geld: Es mußte schnell, einfach und billig sein. Im DruckBetrieb gab es Schreibmaschinen, Reibebuchstaben und eine Sammlung von allen möglichen Vignetten, Karrikaturen und typografischen Mitteln wie Linien und Punkte. Dazu Scheere und Kleber.

Der DruckBetrieb war Teil der Strategie die darin bestand, die Deutungshoheit der Aktionen zu besetzen und zu halten. Deutungshoheit in der direkten Umgebung zu Nachbarn und Fußgängern durch Flugblätter und das Viertel durch Plakate. Das ist ein Grundmuster bei Hausbesetzungen, Besuchen von Behörden, Kliniken oder bei beteiligten Unternehmen usw. Bei längeren Auseinandersetzungen wurden auch Broschüren als Dokumentationen hergestellt. So kamen auch wiederum viele Informationen zurück von den Menschen, die in der Regel viel mehr wußten als wir. Und so hatten wir wiederum einen Informationsvorsprung. Notwendig war natürlich die Aktualität: Jede wichtige Wendung wurde neu kommuniziert und Flugblätter oder Plakate von einem Tag auf den anderen hergestellt.

siehe auch: http://www.atelier-stankowski.de/grafikdesigner.php?cat=4 oder

Atelier Stankowski – Publikationen (atelier-stankowski.de)