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SinnBild
2022: Buchpräsentation im Dresdner Ladencafè 'aha'

Abb: Blick in die gleichzeitige Ausstellung mit 30 SinnBildern.

»'Es gibt die Linie
als Konstruktion,
als Grundlage,
als Ausdruck,
als Begrenzung,
als Ausfüllung,
als Überschneidung
und es gibt
immaterielle, virtuelle,
fiktive Linien,
die das Auge
selbst erschafft.'
Adolf Hölzel, (früher Protagonist der Abstraktion und Wegbereiter der Moderne, Maler und Grafiker: übrigens von Beruf Schriftsetzer)


Unter dem Titel »SinnBild« erschien in diesem Jahr im Merve-Verlag Leipzig ein kleines, aber feines Buch des Dresdner Grafikers Jochen Stankowski anlässlich seiner 50jährigen Mitarbeit als Gestalter im 50. Jahr des Bestehens des renommierten Verlages. In dessen Repertoire finden sich Veröffentlichungen von Philosophen, Sozialwissenschaftlern, Soziologen, Historikern, Psychologen und Schriftstellern, die in handlichem Format und in gewohnter, eher sachlicher und nüchterner Ausstattung präsentiert werden.

Grundlage für die Gestaltung des Buches »SinnBild« ist ein konstruktives Konzept aus Linien und Flächen, die im gewissen Sinne Deutungen oder eine auf den Punkt gebrachte assoziativ betonte Zusammenfassung des Buchinhaltes darstellen. Optisches wird zum Zeichen für Gedanken, das er im Buch aus Sentenzen und Sinnsprüchen von bedeutenden Persönlichkeiten der geistigen und wissenschaftlichen Weltkultur zusammenfasst und als Interpretationsmöglichkeit nutzt. »Ich wollte schon immer sehen was ich denke« heißt es in Jochen Stankowskis 2019 erschienenen »Visuellen Memoiren«, einem Bekenntnis zum Konstruktivismus, seiner Bildform und seines mathematischen Denkens, einem besonderem Zweig der »Visuellen Poesie«. Dem gegenüber steht Goethes treffender Ausspruch über das Prinzip des schöpferischen Umgangs mit der Sprache: »Wenn ich Worte schreiben will, stehen mir immer Bilder vor Augen«. Das vorgestellte Bild ist also per se Ausgangspunkt der Gedanken. Beide Perspektiven illustrieren die Dialektik von Wort und Zeichen, Bild und Sprache. Sie erfüllen sich im Sinn, im Logos des Wirklichen, dem Mittelpunkt der Welt und der Dinge, einem Sinn, der zwischen Kunstwerk und Sprache steht, vermittelt und eine Voraussetzung für das schöpferische Denken und Gestalten darstellt.

Ausgangspunkt für seine konstruktiv-geometrischen Bildschöpfungen war das aphoristische Wort, die Sentenz oder das Ideogramm von Philosophen, Naturwissenschaftlern, Essaisten, Dichtern und Schriftstellern aber auch von Staatsmännern, wie Mao Tse Tung, die Stankowski ins Bildliche übersetzt und in eine Zeichensprache chiffriert. Natürlich nicht eins zu eins sondern als Metapher des jeweiligen Sinns. Fläche und Linie, Farbe und Formatierung veranschaulichen den Gedanken. Das Bildliche aber geht über dessen Inhalt weit hinaus und wird zu etwas Eigenem, das wie eine Emergenz eine neue Qualität des Zeichensystems erreicht, die über sich hinausweist.
...
In diesen Jahren hatte Jochen Stankowski Kontakt mit dem Merve-Verlag, für den er die Raute und das Umschlaglayout entwarf. Mit der Raute wurde für den Umschlag das Reihenprinzip visualisiert, das eine sachlich-neutrale Wirkung ausstrahlt: Für Merve war das Design sicher ein Glücksfall. Es ist inzwischen in der Literatur zu einem ähnlich bekannten Fall von Corporate Design avanciert so wie von einer »Suhrkamp-Kultur« spricht man heute von einer »Merve-Kultur«. Jochen Stankowski versteht sich nach einem Wort von Vilem Flusser als »Zeichensteller«. Er stellt Sehfallen für die Öffentlichkeit und hilft bei der Orientierung und dabei, Dinge an das gesellschaftliche Tageslicht zu bringen. Die Formen und Zeichen, die er entwirft, sollen immer auch als soziale oder kollektive Wegweiser dienen. 1998 kam Jochen Stankowski nach Dresden, wo er sich seitdem mit seiner Arbeit als Grafiker und Plakatkünstler einbringt. Sieben Jahre lang betrieb er mit dem Produktdesigner Thomas Kohl die »Galerie Konkret« mit der Präsentation von konkreter Kunst. An der TU Dresden hält er seit zehn Jahren eine Einführungsvorlesung unter dem Titel »Impuls-Gestaltung-Gestalt« innerhalb der Architekturausbildung.

Das vorliegende Buch enthält 50 »SinnBilder« in einer Gegenüberstellung von grafischem Bild und verdichteter Sprache. Das Zusammenwirken von Bild und Sprache ergibt ein anschauliches Gesamtbild, in dem virtuelles (die Vorstellung) und reales Bild eine geistige Substanz ergeben. Dabei handelt es sich nicht um eine Illustration sondern vielmehr um eine Interpretation von der in der Sprache enthaltenen Bildlichkeit. In das Buch einbezogene Autoren sind zum Beispiel solche geistige Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Sigmund Freud, Novalis und Karl Jaspers.

Für das grafische Bild ist Jochen Stankowski immer vom Ideengehalt des »Geflügelten Wortes« ausgegangen. Das Wesen der Senztenz drückt sich durch den grafischen Gestus von Lineatur und Fläche, die zeichenhafte Gestalt des konstruktiven Korpus aus. So versucht er das Brecht-Wort »Die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten ist – angesichts von Schwierigkeiten – die Krumme« (1) auf seine Art zu interpretieren: Einander sich kreuzende, farbige Linienschwünge illustrieren, ineinander verschränkt, die einfache Weisheit. Novalis Gedanke »Das Chaos muss durch den regelmäßigen Flor der Ordnung schimmern« (2) erweist sich als eine sich im Begriff befindliche ordnende Struktur aus schwärmenden Strichelungen, weiß und blau auf graublauem Grund. Man beachte den Hauptton Blau als die Farbe der Romantiker. Ein markanter Aphorismus stammt von Karl Jaspers: »Die Zukunft ist als Raum der Möglichkeiten der Raum unserer Freiheit« (3): Mehrere Quadrate ergeben in der perspektivischen Verkürzung und durch ihre Grauwertigkeiten einen sich öffnenden Raum, in den durch ein weißes Trapez das Licht einbricht. Vielleicht gehen Sie mit Jochen Stankowskis Buch auf eine Entdeckungsreise durch die Welt des Geistes und seiner sie kommentierenden konkreten Kunst, durch das Reich der Visuellen Poesie? Hundert Seiten Genuss und Nachdenklichkeit: Dort »vereinen sich die Künste für das Auge mit den Künsten des Gedankens (Bernardo Bolzano, Abhandlungen zur Ästhetik. Über den Begriff des Schönen, 1840)."     Heinz Weißflog