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Zeichen als Fallen für die Sinne
'baseline', international typographics magazine, London
2002: Henrike Sandner

"Umso mehr man redet, umso weniger malt man". Diese Zeile aus einem Buch des französischen Philosophen Paul Virilio hat er sich mit Bleistift unterstrichen. Jochen Stankowskis Medium sind nicht die Worte, seine Sprache sind die Zeichen. Er reduziert das Sichtbare auf wenige Linien, Schwünge und Punkte. In einem kleinen Skizzenbuch verwandelt der Grafiker alles, worüber seine Augen stolpern, zu einem abstrakten Symbol. Wie ein Poet, der inspiriert vom Augenblick, Worte auf Zeitungsränder notiert. Diese Fingerübungen braucht er, um immer wieder mit seiner Formenwelt zu experimentieren, meint Stankowski. "Wie ein Klavierspieler, der immer irgendwas üben muss."

Das Entwerfen von Firmenlogos oder Symbolen auf Visitenkarten macht fünfzig Prozent seiner Arbeit aus. Für die Handelskette "Rewe" entwarf der heute 61jährige schon vor mehr als dreißig Jahren beispielsweise einen symbolischen Einkaufskorb in dem der Firmenname wie eine Ware liegt. Dieses Zeichen hat sich eingeprägt mit seiner Schlichtheit und Logik. Beim Anblick stimmt sofort die Assoziation: Einkaufen.

Bis zu sechs Wochen sind nötig, bis er einem Zeichen auf die Spur gekommen ist. "Manchmal", so Stankowski, "spürt man, in einer Skizze ist mehr drin. Dann muss man probieren, suchen und vor allem sehen". Ein Zeichen zu finden ist wie eine Reise. Um im Kopf immer wieder beweglich zu sein dafür, widmet er die andere Hälfte seiner Arbeit dem freien Malen. Eine wichtige kreative Balance.

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Seit er in grafischen Formen denkt, abstrahiert Stankowski. Als gelernter Schriftsetzer wurde er mit dem Bauhaus und Schweizer Typografie konfrontiert. Eine Ausbildung zum Grafik-Designer und Fotografen folgte. 1965 ging er dann nach England, als Design-Spezialstudent studierte er einige Jahre am London College of Printing.

Seit 1966 ist er auf zahlreichen Ausstellungen vertreten: in London, zur Frankfurter Buchmesse, in Kassel, Leipzig, Berlin und natürlich in Köln. Als er 1972 seinen eigenen Druckbetrieb eröffnet, war er endlich in der Lage, Entwurf und Druck zu einen. Nun konnte er frei und angewandt arbeiten, privat und auch öffentlich.    

Von Anfang an waren es die Konstruktivisten, bei denen er seine schöpferischen Wurzeln spürte. Der Name Kasimir Malewitsch fällt in diesem Zusammenhang häufiger. Stankowski nennt die konstruktivistischen Künstler die Vätergeneration. Anfang des 20sten Jahrhunderts orientierten sich viele russische Maler an den modernen westlichen Einflüssen, an Picasso oder Matisse, an Cézanne oder van Gogh. Diese Berührung mit der Fremde verband sich mit der Suche nach einem eigenen künstlerischen Ausdruck für die reine Empfindung. Die gegenständliche Welt verstellte bisher den Blick. Die Lösung lag für die Konstruktivisten in der formalen Vereinfachung, im Rückgriff auf die Bildelemente der Geometrie.

Jochen Stankowski sieht gerade in dieser radikalen Reduzierung bis hin zum Verschwinden eine akute Gefahr für seine Arbeit. "Man muss die Grenze erkennen, wo man aufhört zu reduzieren, wo der nächste Schritt nur ein Schritt ins Banale wäre. Dieser Punkt ist erreicht, wenn die Skizze plötzlich das richtige Zeichen freigibt, dann ist das eine große Überraschung, ein emotionales Erlebnis". Für Jochen Stankowski geht es nicht um eine lineare Fortsetzung der konstruktivistischen Ideen. Vielmehr möchte er die Formen mit Empfindungen verbinden, etwas Assoziatives auslösen. "Es ist eine gefühlsmäßige, fast körperliche Art, die mich auf Bilder bringt", erklärt er. Das Vollkommene und Ausgeglichene in den Arbeiten der Konstruktivisten hält Stankowski für "zu mathematisch". "Wenn es keine Fehler mehr gibt, ist auch die Empfindung erloschen".

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Wenn Jochen Stankowski ein Zeichen entwerfen soll, dann ist das auch detektivische Sucharbeit nach einem elementaren Kern. Den spezifischen Charakter, das Profil einer Firma, eines Produkts oder einer Tätigkeit versucht Stankowski zu begreifen, indem er probiert. Stapelweise Papier bevölkert er mit Entwürfen und Skizzen. "Und auch wenn ich meine, dass ich auf dem falschen Weg bin, dann muss ich es erst sehen. Meine Augen sehen mehr, als ich selbst". Oft liegt die Lösung im Einfachen, das so schwer zu erkennen ist.  

Zum Beispiel für den online-shop der Semperoper Dresden brauchte er nur drei Striche, die horizontal übereinander liegen und sich nach oben verjüngen. Eine Treppe unter dem Wort Shop. Doch diese Variante lag nicht von Anfang an auf der Hand. Die Semperoper Dresden ist in sich schon ein Zeichen, ein belegtes Bild, was man nicht mehr verändern kann. Diese emotionale Belegung des Ausgangsobjekts, war so groß, dass sie der Idee zuerst den Blick verstellte. Für Jochen Stankowski gehören solche schwierigen Prozesse zum Arbeitsalltag. "Letztlich hat man ja auch diese enorme Verantwortung. Wenn ein Logo fertig ist, dann schickt man es in die Welt und es muss alleine zurechtkommen. Mein Zeichen steht für etwas, charakterisiert etwas, es ist das, was die Blicke der Menschen anziehen soll".

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Mit einem Filmprojekt über den "Pfeil" als universelles und historisches grafische Element versuchte er schon in den 70iger Jahren den Gestus der Bewegung für seine Formensprache zu entdecken. Heut hält er diesen Versuch für gescheitert. "Das Medium Film ist mir einfach fremd geblieben. Meine Arbeit habe ich nur schwer damit verknüpfen können."

Doch Bewegung interessiert ihn nicht nur in ihrer aktiven Form, sondern auch als abstraktes Gebilde. Wenn er frei malt, dann schafft er sich Konzepte, nach denen er arbeitet. Bewegungen und Progression, dargestellt in geometrischen Formen, gehört zu jenen Konzepten, die er immer wieder aufgreift. Da werden viele kleine schwarze Striche wie magnetisch von einem Punkt angezogen. Durch diese Bewegung entsteht eine weiße Linie, die quer durch das Bild führt. Es entsteht ein Weg, dessen Ende nicht absehbar ist, weil der Rahmen eines Bildes von Stankowski gern ignoriert wird. "Bewegung ist nicht aufzuhalten", bemerkt er. Für einen Puristen wie ihn erscheint diese Aussage fast zu üppig.

Aber in seiner Art, gegenstandslos zu malen, liegt eine gewisse Poesie. Punkte, Linien, Flächen und Farben verbinden sich zu einer Komposition. Gerade bei seinen freien Arbeiten wird dem Betrachter die emotionale Ebene bewusst. Stankowski setzt auf Empfindung. Da rekeln sich Spiralen und Kurven schwungvoll-heiter und daneben bricht sich spitz und mathematisch eine Linie mit vielen Richtungswechseln Bahn. Das Runde steht wohl für das Harmoniebedürfnis des Jochen Stankowski, das eher Geradlinige oder Eckige für seine Klarheit. Und auch, wo etwas sehr genau berechnet erscheint, hat oft auch der Zufall die Feder geführt. So sind gerade auch die Zufälle der Natur und des Alltags für Stankowski eine wichtige Inspiration. "Ich versuche, wach zu bleiben und in bestimmten Situationen etwas zu erkennen. Zum Beispiel wenn ich lese, dann möchte ich es plötzlich sehen, also muss ich mir ein Bild malen".

Wenn der Zeichensteller in den Urlaub fährt dann hat er immer ein Skizzenbuch und einen Fotoapparat dabei, um eben diese zufälligen Momente festzuhalten. Die Wellen des Meeres oder Spuren im Sand sind für ihn später Grundlagen für Bewegungsstudien. Ein anderes Konzept verfolgen seine Arbeiten nach Schattenmotiven. Auch dafür bringt er Fotos von Aufenthalten in Nordafrika mit nach Hause in sein Atelier: Scharfe Sonnenschatten auf weißen Häuserwänden und Treppen, darüber ein hellblauer, wolkenloser Himmel. Die Farben für die Abstraktion nach diesen Vorlagen sind einfach: weiß, schwarz, verschiedene Graustufen für die Schatten und klares Blau für den Himmel. So ähnlich wie in diesem Konzept, sind sich reale Vorlage und Bild bzw. Zeichen bei Stankowski selten. Vielleicht lag gerade darin der Reiz: Fotograf und Maler in einem zu sein, das spätere abstrakte Bild schon zu malen, wenn der Finger auf den Auslöser drückt.

Stankowski ist aber längst nicht nur der kühle Grafiker, der allein das Weglassen zur Kunst macht, sondern er versteckt in seinen Bildern auch viel Humor. Denn im Grunde ist vor seiner Wahrnehmung nichts wirklich sicher. Unverständliche Laute eines Babys veranlassten ihn zum Beispiel vor einigen Jahren zu einem kleinen Buch voller Zeichen. "Dai daai do do" oder "hey ki ki krä" visualisierte er mit schlichten schwarzen Linien, Schwüngen und Punkten. Ein Laut wird sichtbar und das unverständliche Gestammel seiner Tochter zu einem Zeichen. Der Witz solcher Konzepte liegt schon in der Idee.
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Anknüpfungspunkte sucht Jochen Stankowski aber auch in der Konfrontation mit dem Fremden und Unbekannten. Im vergangenen Jahr besuchte er im Rahmen einer Tagung zum Thema Behinderung einen Abend mit taubstummen Poeten. Die Gestik und Zeichensprache interessierte ihn. "Ich wollte wissen, ob ich etwas sehen und verstehen kann. Aber am Ende war ich der Analphabet. Ich war völlig fremd in dieser Sprache". Solche Erfahrungen überträgt Stankowski gern in seine Arbeit. Er erfindet Zeichen, die einem Alphabet ähneln. Auf den ersten Blick möchte man die "Buchstaben" lesen, meint, diese Zeichen haben die Augen schon einmal gesehen. Aber der Eindruck ist trügerisch. Jochen Stankowski liebt solche Verführungen und Verwirrungen. "Vor chinesischen oder arabischen Schriftzeichen stehen die meisten von uns auch wie vor einem geheimnisvoll verschlossenen Tor, hinter das man nicht schauen kann." Diese Wirkung erzielt auch Stankowski mit seinen Phantasiebuchstaben und -zeichen. Fünf Buchcover hat er für den Merve-Verlag Berlin auf diese Weise gestaltet. Paul Virilio soll begeistert gewesen sein von diesem "rätselhaften Alphabet".

Jochen Stankowski sieht seine Zeichen aber nur dann, wenn er auch zeitlich die Freiheit für seine Arbeit hat. Ein Grund, warum er 1998 auch von Köln nach Dresden kam, war der Wunsch, nicht mehr unter Zeitdruck kreativ sein zu müssen. Seine Druckerei in Köln gab er dafür auf. Ein Jahr arbeitete er ganz ungebunden und ohne Auftragsdruck in Dresden, dank des Stadtmaler-Stipendiums. Danach ist er geblieben und hat ein Grafikdesign-Atelier eröffnet, wo er auch wieder für Auftraggeber gestaltet. Doch sein kurzer "Ausstieg" aus dem Alltagsgeschäft brachte ihm eine wichtige Erkenntnis: "Ich habe hier in der Barock-Stadt Dresden die Nutzlosigkeit der Kunst entdeckt. Und da möchte ich weiter machen. Das bedeutet, wenn ich das Nutzlose suche und mich nicht dem Zielgerichteten unterwerfe, dann bin ich kreativ."  Henrike Sandner

'baseline', international typographics magazine, 37/2002